Arg schmal is er worn

Arme Tante Betty. Da steht sie etzet, mitten im „Gewerch“, in der Menge am Straßenrand. Ihren Ministerpräsidenten wollte sie doch so gerne persönlich in Augenschein nehmen. Wo er sich nun endlich nach zwanzig Jahren wieder einmal in ihrer Heimatstadt auf einen Besuch angemeldet hat.Ins Goldene Buch wird er sich eintragen im Rathaus, hat die Zeitung „gschriem“. Und weil die Tante Betty sich sowieso schon lange eine „neia Kiddlschärzn“ beim Witt kaafn wollt’, hat siedas Angenehme mit dem Nützlichen verbunden und is grodner heit mit dem Bus in die Stadt g’fohrn.

Den Plastikbeitl in der einen Hand, Reengschärm und Einkaufstaschn in der andern, steht sie in ihrem Pfeffer-und-Solz-Übergangsmäntela wie angeworzlt auf dem Rathausplatz und kummt keinen Meter mehr weiter. Klammheimlich hat sie sich von ganz hinten durch die Menschenmassen geschoben, gezwängt, gedrückt und geschlichen. Aber etzet, scheint es, ist Endstation.
Um sie herum auf Tuchfühlung fremdländisch aussehende Mitbürger, sich unterhaltend in einer fremdländischen Sprache und sich zusammengehörig fühlend innerhalb eines fremdländisch duftenden Aromagespinstes, und ausgerechnet einer von denen steht jetzt auf Tante Bettys linker Schuhspitz’n.

Naa, weh tut’s net, denn der stit bloß vorn aufm Leder, weil die Tante Betty ihre Schuh sowieso immer eineinhalb Nummern größer kauft, um notfalls noch zwaa Poor worma Schoofwollsoggn übereinander angezogen darin unterbringen zu können. Aber ärgerlich is des scho! Muss der ausgerechnet nooch hintn sabbn, wo sie gerade an ihm vorbeipfitschen wollte?

Der gute Mann vor ihr hat das bestimmt nicht mit Absicht getan. Naa! Bestimmt net. So objektiv ist die Tante Betty ja schon von Haus aus. Aber jetzt soll er doch bitte wieder von ihrem Schuh runter. Obber wie? Wie ansprechen? Tante Betty räuschpert sich ein wengla. „Hmm!“ In dem Sprachenwirrwarr aber ein sinnloses Unterfangen!

Wos socht mer denn ze su an Moo? Schwarza Hoor, schwarzer Schnäuzer, graumelierta Bartstoppsln sieht die Tante Betty, indem sie schräg nach oben linst. Und dem sei Jackn is bestimmt scho drei Toog nimmer gelüft’ worn. „Bfff!“ Färchtn tut sich die Tante Betty net. Und ärchern lohnt sich aa net. Sie könnert ja mit ihrer Reengschärmspitzn … hm? Naa, lieber net! Mer waaß ja net …

Um sie herum steigt die Dezibelrate des babylonischen Sprachenwirrwarrs an, und zufällig und endlich hebt sich auch der osmanische Schuhabsatz von ihrem Stiffela. „Gottseidank!“ Die Tante Betty sieht zu, dass sie sich weiter nach vorne durchschiebt. Was ihr unter fünfmal Entschuldigung sagen auch gelingt! Bis in die vorderste Reihe drückt sie sich noch an einem Kinderwagen vorbei. „Meeng Sa ihr Weechela net awengla noozieng? Schenn Dank!“

Endlich hat es die Tante geschafft und steht in vorderster Front. „Ja grüß dich Babett, aa aweng do?“ Die Nachbarin von dehaam hat dem gesellschaftlichen Highlight ebenfalls nicht versagt und sich von ihrem Sohn in die Stadt kutschieren lassen. „Wie git’s denn su, Betty? Ich ho dich ja scho su lang nimmer g’säing?“ „No ja, du waaßt halt scho … Etzert wor ich do hint’n ball zeha Minut’n lang festk’hängt, wall mer do su a Moo aufm Schuh g’standn is, also waaßt …“ „No, häst halt wos g’socht!“ „Ja wie denn? Ich ko doch ka Türkisch!“

In dem Moment aber wenden sich schon alle Augen nach links, weil ein Pulk gewichtig aussehende Krawattenträger durch die breite, von Schandarmen freigehaltene Gasse heranschlendert: Blendaxstrahlende Gesichter und ein jeweils individuell joviales Lächeln wie eingeschnitzt von einem Ohrläppla zum andern. „Wer is denn des?“ „Den kenn ich ve der Zeitung, obber wie der haaßt …?“

„Schau hi’, unner Oberborchermastera!“ „Schee schaut sa widder aus. Wu ner die bluß immer zen Friseer git? Fei werglich schee noogemacht!“ „Und wos sa ner widder für a feins Kostüm dro hot!“ „Obber wennst sa sichst, immer a ruuts!“ „No vielleicht k’hört sich des su?“

Landrat („Der werd fei aa net älter!“), EmDeEls und EmDeBes („Wer senn denn die do alla?“ „Bestimmt a poor ven Amt!“) schlendern langsam näher und ein paar stämmig aussehende Enddreißiger („Des senn bestimmt die Schofför!“) mittendrin. Beinahe verschwindet der Landesfürst innerhalb dieser Ansammlung (ge)wichtiger Bürden- und Würdenträger, und die Nachbarin Babett sieht ihn auch nur, weil der EmDeEl neben ihm umständehalber auf dem historisch gewachsenen Kopfsteinpflaster einen kleinen Ausfallschritt machen muss.

„Schau hi’, Betty, do is er!“ „Wer, der …?“ „Freilich, schau halt hi’!“ „Wart amol!“ Justament fällt Tante Betty jetzt ein, dass sie ihr Aang-Gloos, ihre Brille aufzusetzen vergessen hat, und sie fuhrwerkt verzweifelt mit der einen Hand, nachdem sie den Plastikbeutel gewechselt hat, in ihrer Einkaufstaschn herum. Wu is sa ner bluß? Do is sa! Brille aufgesetzt und „Wu, wu is er denn?“ „Do sichst na nuch aweng!“

Die Bürden- und Würdenträger mit dem Ministerpräsidenten mittendrin sind schon fast vorbei, und Tante Betty kann den, wegen dem sie heute hauptsächlich in die Stadt gefahren ist, nur noch von hinten sehen: Schlanke, große Gestalt im dunklen Anzug konstrastierend zum hellblonden Haupthaar. „Wos? Su schaut der etz aus?“

Tante Betty ist entgeistert und schaut ihre Nachbarin besorgt an. „Hoffentlich is er net kronk. Wenn mer na su ve hintn sicht – is er fei orch schmol worn, unner Franz Josef!“

-psg-

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