Sind Sie der Ober?
Golden verklären sich Erinnerungen an längst vergangene Zeiten, in denen Musik noch wirklich mit der Hand gemacht wurde. Als Schlagzeuger unverzichtbarer Bestandteil eines Trios waren und die alte Elektravox den Vierzigwattlautsprecher des Lesliekabinetts zu Höchstleistungen herausforderte. Es gab noch keine Nullkommaachtpromille, „Mändesino“ war der Schlager überhaupt und ein dreipoliger Diodenstecker Anschlußstandard.
Die halbwegs gutsituierte bundesdeutsche Familie badete einmal in der Woche. Vorzugsweise sonnabends zwischen sechzehn und achtzehn Uhr. Und in diesem Umfeld entstieg der junge Schifferklavierspieler der emaillierten Festeinbauwanne, um im Anschluß – frisch gestriegelt und gebügelt, weißes Hemd, schwarze Hose – sich von den älteren Musikkollegen mit dem dunkelroten Hundertachtziger Mercedesdiesel zum Auftritt abholen zu lassen.
Zwischen Gitarrentasche, großer Trommel und kleiner Trommel (Bass-Drum und Snare waren noch nicht im Gespräch), Lesliebox und Schmuckkissen fand sich für den Benjamin noch ein Notsitz auf der Rückbank – und eine vergessene Quick, deren verstohlene Lektüre die fünfundzwanzig Minuten Anfahrt bis zum Tanzsaal verkürzte. Der Aufbau wurde ohne Roadies in Eigenregie durchgeführt und die Bühnenbeleuchtung stellte der Wirt: Blaulicht!
Was sind die Segnungen moderner computergesteuerter Topilluminationen gegen die UV-Leisten antiker Landbeatschuppen? Wenn bei „Monja“ und „Weine nicht, kleine Eva“ das Licht ausging und Harry Belafonte plötzlich dreifach geklont auf der Halbrundbühne stand. Die absolute Show! Weiße Augen, weiße Zähne, weiße Fingernägel, weiße Nyltesthemden – und die Kellerbräune des Gitarristen verwandelte sich auf wundersame Weise in einen gepflegten St.-Tropez-Teint. Jimmy Halliday wäre vor Neid erblaßt. Blues-Brothers live!
Wer als Gastronom etwas auf sich hielt, hatte mit Phosphorfarbe bemalte Muscheln und Seesterne in einem alten Fischernetz an die Bühnenrückseite genagelt sowie daneben eine bikinigeschmückte Schwarze-Pappe-Kurvenschönheit mit den unübersehbaren rosa-gelb-grünen Buchstaben B, A und R, die allen Puschkin- und Persico-lüsternen Freigängern den Weg ins chaiselongue-möblierte Himmelreich wiesen.
Einmal dem Schimmer von zartem UV-Bleu in weißen, aufgekrempelten Hemdsärmeln verfallen, möchte der Tanzmucker diesen nicht mehr missen.
Er begleitet ihn sein ganzes Leben. Hält Erinnerungen aufrecht an Streupulver Marke „Tanzhexe“ und teerhygienisierte Sanitäranlagen mit Wasserdauerspülung, an Wirtshausküchen mit blumenkittelgeschürzten Tanten und ungeerdete Steckdosen „Marke Selbsteinbau“. Ruft Bilder von Auftritten mit Kameraden wach, mit Kannenbläsern, die zu der Zeit noch ungehindert über ihre eigenen Zähne verfügten, mit Schlagzeugern, die jetzt schon seit Jahren im Musikantenparadies „Sambesi“ trommeln.
Kein UV-Effekt ohne weißes Oberhemd – damals wie heute uniform im Kreise der Kollegen und dennoch ungebunden aller Kleiderzwänge. Seidensticker oder Schießer. Kunstfaser oder reine Baumwolle. Das weiße Hemd signalisiert Freiheit und Neutralität. Unterstreicht Objektivität und Friedensbereitschaft. Demonstriert die aufopfernde Leistung des transpirierenden Musikanten unübersehbar an Kragen und Achselpartien.
Es empfiehlt sich lediglich, die dazugehörigen Accessoires wie Krawatte oder Fliege in etwas bunteren Farben zu wählen, um nicht – wie bereits des öfteren geschehen – beim Schnellgang von der Bühne zur Toilette von einem ungeduldigen Gast am Ärmel gezupft zu werden mit der Frage „Verzeihung – sind Sie hier der Ober? Wir möchten da noch etwas bestellen!“ – psg –