Die Bierdusche

Hab ich eigentlich schon erzählt, dass wir an einem Berg wohnen? Na ja, Berg ist vielleicht ein wenglein großspurig gesagt, aber ein größerer Abhang ist es allemal, und dass ich das erwähne ist wichtig, derweil ansonsten die nachfolgende Geschichte wahrscheinlich und überhaupt nicht passiert wäre.

Die Siedlung, wo wir daheim sind, hat zum Teil etliche Bauherrenjahre auf dem Buckel, besonders die tiefer liegenden Regionen. Manche Siedlungsstraßen da ähneln schon einer albanischen Autobahn, weil die eine Woche die „Telefoner“ kommen und die Fahrbahn aufgraben. Sind die mit ihrer Arbeit fertig, wird wieder aufgefüllt und alles schön zugeteert, damit in der Woche darauf die „Elektrischen“ oder die „Gasleut’“ wieder aufbaggern können, weil sie neue Rohre verlegen. So geht das schon über Jahre – Patchwork-Design in Asphalt.

Dann gibt es da freilich auch noch die Wasserver- und entsorgung, und die ist ganz wichtig, derweil wir sonst noch in unserer eigenen Brüh’ herumstiefeln müssten wie einst unsere Vorfahren im Mittelalter. Und damals soll es ja in den Ortschaften gar nicht so gut gerochen haben. Wobei das in unserer Zeit auch wurscht wäre, besonders Feierabends nach fünfa, weil da regelmäßig zwei Stunden lang fünftausend Auspuffe vom Keuchhustenmofa bis zum russischen Kolchosendampfer unser Dörflein eindubeln. Das aber nur nebenbei.

Besagte Wasserver- und -entsorgung verläuft unter den bereits ebenfalls besagten Straßen, bis es einmal eines schönen Tages nicht mehr so läuft, das Wasser nämlich. Dann läuft es eigentlich überhaupt nicht mehr. Und meistens ist es dann auch öfter Nacht, wenn dieses Ungemach auftritt, in Frühjahrszeiten vornehmlich, und vielleicht ist an diesen depperten Rohraufbrüchen ja der Mond mit dran schuld, oder es liegt am Temperaturrückgang im Südpolarmeer, denn ansonsten lässt sich kein Verantwortlicher mehr dafür auftreiben.

Tatsache ist aber, dass irgendwann nachts ein orangschenes Blinklichtlein auf einem Bauhofunimog durch die Siedlung brabbelt und am Wohnzimmerfenster vorbeigeistert. Du denkst dir dann so unterm Fernsehschauen nachts um elfa: „Aha, der Schneepflug!“ Aber derweil es bereits Mitte Mai ist, muss die Vermutung mit dem Schneepflug nicht unbedingt richtig sein. Die mit dem Räumkommando allerdings schon, denn am nächsten Tag lernst du dank etlicher Umleitungsschilder Ortsteile kennen, die du in deinem Leben noch nie betreten geschweige denn befahren hast, und du machst dir insgeheim Sorgen, wenn nach einer Viertelstunde zusätzlicher Fahrtzeit deine Benzinuhr mit der gelben Fahne winkt.

Ich hätte ja nie gedacht, was so ein Wasserrohrbruch für einschneidende Erlebnisse für einen selbst beinhalten kann. Gut – dass man das Wasser in der Küche aufdreht und ein kräftiges Pfoggsen und Schmatzen sowie ein paar braune Rostwasserspritzer mitten ins Auge den momentanen Totalausfall in der Pipeline signalisieren, das gehört zu den Zivilisationsrisiken des Bergbewohners: Dafür gibt es dann halt anstatt Nudelsuppen zu Mittag eine gescheite Brotzeit – mit einem Seidlein Bier selbstverständlich, denn Teewasser ist ja keines da, erfreulicherweise.

Aber wenn du in aller Herrgottsfrüh mitten unter der Dusch’ stehst, von Kopf bis Fuß eingeseift, mit einer Schaumperücken wie Luis der Fünfzehnte, und aus dem Duschkopf kommt weniger als gar nichts, dann schaust du schon ein wenig verblüfft: „Wos’n etz lus?“ Herrschaftszeiten. Halleluja. Des hot’s etz noch gebraucht: Ka Wasser! A weng eng in der Zeit ist es auch schon.

Frieren tut es mich wie einen Schneider, wie ich die Schiebetür von der Dusch aufmach’:  „Halloooo, Spatzl!“ Mist, mei’ Fraa is ja scho’ fort. Keiner daheim außer mir.

Mit blinzelnden Augen, das Shampoo beziehungsweise auf gut oberfränkisch „Schambong“ brennt echt wie der Teufel, taste ich mich zehengliederig über den Badvorleger bis zum Halter vom Badetuch. So, wenigstens die Augen und des G’sicht sind frei. Noch einmal kontrolliere ich an der Mischbatterie vom Waschbecken: Auf und – naa, do kummt wirklich nix! Hm! Was mach ich jetz’? Ich kann mir doch net einfach des Seifenzeug da so bloß abreiben, des picht doch wie Tapetenleim. Und vielleicht gibt des amend Flecken oder sonst was auf der Haut?

Nach dem ersten kurzen Versuch geb ich es auf und überlege. Der Wasserkasten vom Klo! Gedacht und gleich wieder verworfen: Bis ich den offen hab, ist es Mittag. Also, was tun? Meine Haut signalisiert allmählich den Abfall von zwei Grad Körpertemperatur und ich steh da in der Badezimmertür und schau da wie der Hann nei’ die Nüss’.

Blitzartig erinnere ich mich dessen, dass für Sohn und Frau ja immer ein Kasten Mineralwasser im Keller steht. Also – Badetuch vorn fest zusammengezwickt und die Treppen runter. Auf dem Absatz die großa Zeha an die drecksblöde Geländerstreben angehaut und laut „Scheißdreeg!“ gebrüllt. Das hat man bestimmt bis nüber zu die Nachbarn g’hört. Mir is des worscht jetz’! Ich bin im Keller.

Mit den letzten drei Fläschla Mineralwasser null drei – deswegen ist die Fraa ja fortg’fohr’n – hetz ich nach oben und stell mich wieder hinein in die Dusch. Beim Aufmachen reißt es mir auch noch den Nagel am Daumen ein, aber egal. Des Seifenzeug geht runter, im Ausfluss gurgelt’s: Wasser ist halt Wasser! Und endlich erfüllt dieses auch mal einen guten Zweck!

Jetzt kann ich mich abtrocknen. Da! Ein zufälliger Blick in den Spiegel. Mein Atem stockt,  das Blut schießt mir ins Gesicht: „Die Hoor hast vergessen!“ Die Hoor! Tatsächlich. Zusammengeklebt wie eine Mistpatsch’n ist das, was auf meinem Kopf da oben vorhanden ist, in Zeitlupe fast schon eingetrocknet – kein Wunder, dass mir das nicht aufgefallen ist. Himmel, so kann ich doch net unter die Leut’! „Hätt’st des Mineralwasser für die Hoor genumma, du Depp!“ Wenn doch ein paar Spritzer dabei in den Mund geraten wären – was hätte das schon ausgemacht?

Die Wasserleitung hat weiterhin die Schwindsucht. Und so steh ich da mit meinem Talent, mit einer Frisur wie ein Pfund Putzwoll’n und überlege. Überlege fieberhaft, wo es noch flüssiges Unverfälschtes im Haus gibt? Sonnenblumenöl und Essigreiniger fallen logischerweise aus, die Regenfässer am Gartenhaus sind leer wie bei einem Junggesellen der Kühlschrank. Übrig bleibt bloß noch – das Aquarium! Aber das kommt nicht in Frage. Amend schöpf ich dabei noch so ein Fischlein mit raus – meine Frau tät’ mir das nie verzeihen.

Ein Wahnsinnsgedanke baut sich in mir auf. Ich schlucke krampfhaft und versuche ihn mit aller Gewalt zu unterdrücken. Nein. Bitte nicht. Aber schon sehe ich mich nochmals in den Keller laufen und, indem ich mich nur aus den Augenwinkeln traue genau hinzusehen, mit einer Hand zwei Flaschen bestens temperiertes Märzen aus dem Kasten ziehen. Mir blutet das Herz, aber es muss sein. Dies ist ein absoluter Notfall!

Die Gefühle, die mich durchziehen, während das edle Nass sich mit den Schambongresten im Haar vereint, sind unbeschreiblich traurig. Betroffen sehe ich die gute Brühe auf Nimmerwiedersehen im Siphon verschwinden. Und wie malzig das noch riecht! A Sünd und a Schand. Aber heut gleichermaßen ein Notfall: Auf jetzt, Haare trocknen!

Frisch gebierte Haare sind sehr vorteilhaft für Streichholzlockenbesitzer wie mich, denn du sparst dir dadurch jeden Haarfestiger. Andererseits musst du mit dem Fön ziemlich aufpassen, sonst hast du in Sekundenschnelle solche Pyramidenstufen in der Frisur, dass du bei Germany’s Next Topmodell für einen Sonderpreis gut wärst. So sehe ich mir dann aus dem Spiegel nach einer Viertelstunde Schwerstarbeit entgegen: Mit einem „Schiebedach“ vorn, dessen lineare Stromliniengestaltung jeden Elvisimitatoren in Verzweiflung stürzen würde.

Nun aber anziehen und ab. Nach hundert Metern leuchtet an der Abzweigung schon das erste Umleitungsschild. Nach der fünften Umleitung fahre ich nochmal an unserem Haus vorbei und registriere, dass unsere Nachbarin mit der Plastikkanne zum Blumen gießen sich anschickt und obendrein, dass eine Tropfenspur sich von der Kanne bis zum Wasseraußenanschluss hinzieht. Aha, es läuft wieder!

Bei mir aber läuft gar nichts, denn bei diesen blöden Umleitungen muss ich eine davon übersehen haben. Das zweite Mal passiert mir das aber nicht, denn ich kenne da ein – für den Durchgangsverkehr zwar gesperrtes, aber ziemlich verstecktes – Gässla, das direkt auf die Hauptstraße zuführt.

Heute ist echt mein Glückstag! Gerade will ich in die Hauptstraße einbiegen, als von links ein wohlbekannter Fahrzeugtyp in Silbergrün mir ins Blickfeld fährt, eine Kelle aus dem Seitenfenster zischt und winkt: Anhalten! Süffisant lächelnd steigt eine Uniform aus dem Wagen aus und kommt auf mich zu. Wenigstens meine Papiere hab ich gleich auf Anhieb gefunden. „Grüß Gott. Wiss’n Sie net, dass der Weg do g’sperrt is’?“ Warum ich den Weg da befahren habe, brauch ich dem Herrn Wachtmeister gar nicht mehr zu erklären, denn ein Windzug aus meiner Richtung weitet bei ihm sowohl Augen als auch Nase: „Sag’n S’ amol: Ham Sie was getrunken?“

Versuch du einmal einem Polizisten früh um neuna an einer für den Durchgangsverkehr gesperrten Ortsgasse zu vermitteln, dass du wegen eines Wasserrohrbruchs mit Bier deine Haar gespült hast und durch die Umleitungen in einen minderschweren Fall von Verkehrsvorschriftenverletzung förmlich getrieben worden bist. „Sind Sie mit einer Alkoholkontrolle einverstanden?“ Und schon kommt sein Kollege mit der Promille-Melodica angetanzt. Aber auch nach dem dritten Mal vorschriftsmäßig da reinblasen zeigen sich Nullkommanull auf der Richterskala, obwohl der mutmaßliche Delinquent auf fünf Meter gegen den Wind riecht wie eine komplette Versuchsbrauerei.

Nachdenkliche Gesichter mustern mich von oben bis unten, als dem einen Freund und Helfer ein plötzlicher Luftzug fast die Dienstmütze vom Kopf weht und dem andern die Strähnen in die Stirn treibt. Meine biergedopte Elvisfrisur steht wie eine Eins. Kein Härchen rührt sich. „Des ist kein Haarspray, Herr Wachtmeister, des macht des Bier!“ Ich sehe den einen etwas krampfhaft schlucken und sein Kollege bringt es gerade noch heraus: „Fahr’n S’ weiter.“ Dann drehen sie sich um und steigen ziemlich schnell wieder in ihr Auto.

Bis ich meine Papiere verstaut habe und mich angeschnallt habe, dauert es bestimmt an die zwei Minuten. Da ist die Polizei überraschend schon fort. Aber mir war es, als ob unterm Anfahren der eine Polizist auf dem Beifahrersitz ein Taschentuch in der Hand gehalten und sich irgendetwas aus dem Auge gewischt hat. Des muss der Wind gewesen sein. -psg-

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