Haxn mit Kraut
Kochorgiastische Fresstempelreportagen ziehen den fernsehzappenden Hobbygourmand nach einem spartanisch-wurstikalen Familienabendmahl zwangsläufig in einen Gewissenskonflikt der fritten Generation. Taffe Junggötter des goldenen Kochlöffels flirten da quer über den Infrarotherd mit zoomenden Studiokameras, ein Hauch unbeschwerter Gourmandise liegt über funkelnden Edelstählen und glasiertem High-Tech.
Der unbedarfte TV-Konsument fühlt instinktiv ösophages Begehren, langt dabei öfter, aber allseits verstohlen in die Tüte Weingummis auf dem Wohnzimmertisch und nimmt sich vor demnächst einmal wieder mit der Familie zum Dinieren zu gehen. Diesmal aber nicht zum Mäggdonnelz, wie die Kinner immer woll’n, sondern „endlich amol widder wos G’scheit’s“.
„Sunndooch genga mer ess’n, amol widder wie frieher, gell?“, verkündet er nach einem Schluck aus dem Feierabendseidla, dessen folgend er sich eines leichten Kohlensäuredrucks in der oberen Magengegend mit einem genussvollen Rülpserer entledigt hat. Die beste Frau von allen, die, durch die offene Tür angesprochen, gerade die letzten Bröserla vom Abendbrottisch wegwischt, sieht auf: „Dann muss ich obber Samsdooch zen Friseer, wall su ko’ ich net fort!“. „Dann gi halt zen Friseer, wenns unbedingt saa muss.“
Somit sind alle Unklarheiten restlos beseitigt, die Kinner zum Glück grad auf ihrem Zimmer und eine „Mir wolln zem Mäc!“-Diskussion nicht zu befürchten.
„Wu genga mer denn hi’?“ Diese Frage bewegt fürderhin den spontan-kreativen Ausgehdisponenten, und er holt sich zwecks gastronomischer Adressenauswahl erst einmal das Telefonbuch aus der Schubladen. Beim Durchblättern nach R wie Restorongs fällt ihm ein, dass auch „relativ teuer“ mit „R“ anfängt, und mit der Wurscht nach der Wildsau schmeißen will man ja nicht unbedingt.
Also retour auf G wie Gast, Gasthof, Gaststätten, do semmer! Aha! „No, dann schaua mer amol …“: Adamo, Akropolis, Amphora, Argentinisches Steakhouse, Athena, Barcelona, Bei Costas, Chinagarten … der Finger bewegt sich nach unten. Da Franco, Delphi, Ephesos, Genua, Himalaya, Indonesia …
„Herrschaftszeiten, gibt’s be uns ka richtigs Wertshaus mehr?“ Auf der Stirn des Suchers zeigen sich erste Sorgenfalten. „La Mèr, La Luna, Lotos, Nepal, Osaka … wos soll denn des?“ Peking, Sicilia, Thailand und Vesuvio überfliegt der Zeigefinger in pedantischer Einsamkeit bis zum Buchstaben Zett, Zenturio, Zigan, Zum Weißen Hirsch. Gutbürgerlicher Gasthof. Sonntags Mittagstisch. Endlich! „Im Hirsch wor mer doch vor Johrna zen Vodder sein Sechzigst’n. Waaßt nuch, die Häxla? Ein Gedicht!“ Mit zufriedener Miene wird erst einmal die Aborttür hinter sich zu gemacht.
„Ich ruf amol o’ und bestell uns scho an Tisch.“ Nachdem das Freizeichen dreimal bis zum letzten Ton ausgetutet hat, lässt der Anrufer Telefon Telefon sein und begibt sich wieder auf sein Kanapee, um sich den Rest der Kochshow anzusehen. „Wohrscheinlich hom sa Ruhedooch. Obber su schlimm werd’s Sunndooch ja net saa mit die Leit. Konfirmation is kanna und Feierdooch aa net.“
Während im Fernsehabbarad Wachtelbrüstchen auf Cognacspinatspitzen gereicht werden, formatiert sich in Gedanken eine echt fränkisch sonntägliche Wirtshausspeisenkarte: Hirschgulasch mit Breislbeern und Klöß’ wie ein mittlerer Fußball, oder vielleicht Rouladen mit Blaukraut und a schöner Semmelkloß, oder amend doch so ein gepökelter und gekochter Diät-Schweinsfuß von vier Pfund und dazu ein schmackiges Sauerkraut mit Speckgriefela? A Leberklößlessubbn vorher – und a Himbeer hintennach, quasi als Ausgleich fürs Eis ve die Kinner …
Mit verklärten Gesichtszügen schlummert der Vater auf seiner Liegestatt ein, bis ihn seine Alma nach dem Millionärsquiz ins Bett schickt.
Der Sonntagsfrühschoppen im Schützenheim ist diesmal eine Viertelstunde eher zu Ende, denn in der Ferne röhrt schon der Weiße Hirsch. Mutter hat die Kinner bereits ausgehfertig gemacht, sämtliche Mäcdonnelz-Diskussionen vermutlich wie erhofft im Ansatz unterbunden und verstaut im Moment noch den Lippenstift in ihrem Handtäschla, als der Vater zur Haustür herein schaut: „Seider endlich ferdich?“
Mit ausdruckslosen Gesichtern schiebt sich der Familiennachwuchs an Bierannosaurus Rex vorbei, aus dessen Windjaggn und Bullover sämtliche Dunstrelikte des Frühschoppens wabern, die Fraa schaut noch einmal nach, ob die Kaffeemaschina und der Radio aus sind, und dann geht es im erst gestern blankgewienerten und frisch staubgesaugten Kombi frischhin zu den fränkischen Fleischtöpfen.
„Ob die ald’ Danda nuch in der Küch’n is? Waßt nuch derer ihra griena Kließ? Su gruß wor’n sa!“ Einen imaginären Handball nachzeichnend, lösen sich zwei Fahrerhände vom Lenkrad. „Bass lieber auf und lenk gscheit, bevorst nuch wu noofährscht!“ Die Ermahnung der Besten von allen zeigt sogleich Wirkung, unterbindet aber nicht den vorfreudigen Glanz in den Augen des Gemahls, der sich abschließend mit dem Handrücken ein imaginäres Speichelfädchen aus dem Mundwinkel wischt. „No ja, schaua mer halt amol.“
In Nachbarschaft eines weißgekalkten Restaurants mit dem schönen fränkischen Namen „Bei Costa“ liegt der Parkplatz des Weißen Hirschen. Zwaa Plätzla sind gerade noch am Haus frei, als der Kombi in die Zieleinfahrt einbiegt.
Der Weiße Hirsch hängt gußeisern wie vor acht Jahren über dem Eingangstor, wenn auch in der zwischenzeitlichen Abstinenz zum schwarzpatinierten Hirschen mutiert. Und eine neue Brauereireklame prunkt an der Hauswand: Calimero – Italienische und türkische Spezialitäten. Neonflackernd wie eine adriatische Camping-Trattoria.
„Naa! Des gib’s doch net!“ Mit punktuell sich abzeichnender Blutleere im Gesicht dabbt der Schweinshaxen-Junkie fassungslos ein paar Schritte bis hin zum Speisenkartenaushang und beginnt zu buchstabieren, von Pizza Mortadella über Calzone bis hin zu „Nudelngerichte“ und „Lammkotletts mit Käse überbacken“.
„Naa, do gemmer net nei!“ Die wunscherträumten „griena Kließ“, die sich eben und kurzzeitig wie in Luft aufgelöst hatten, beginnen sich trotzreaktionär aufs Neue zu manifestieren. „Ich fohr doch net zeha Kilometer und dann suwos. Do hätt mer ja gleich ben Mardschello be uns im Schütznhaus essn könna!“
Nun aber regt sich der Familiennachwuchs, der bis dato geschwiegen hat (Warum wohl? Ist es nicht der Block der Realschule, der hundert Meter weiter aus der Häuserzeile hervorlugt?): „Ach Babba, etz is scho gleich aans vebei. Mir hom Hunger!“ Und auch die Beste von allen meint in Erwartung sich abzeichnender, mediterraner Gaumenfreuden: „Genga mer halt erscht amol nei. Dann seh’n mer scho weiter!“
Mißmutig schlabbt der ach so bitter Ent- oder amend gar noch Getäuschte seinem Trio nach und begnügt sich in Folge mit dem gourmetanten Erlebnis eines x-mal bereits durchgestandenen „Gemmer-Bizza-essn“, nur mit dem Unterschied, dass er heute demonstrativ an einem Wiener Schnitzel mit Bommfritt herumsäbelt. Der Rest der Familie zeigt sich hingegen vollauf zufrieden und ergötzt sich an romanisch-pizzantinischer Vielfalt.
Montag vormittag in der Firma. Neina is’, Brotzeit. Freund und Mitstreiter Erich packt nebenan ein schönes Stück kalte Schweinshaxen aus, dunkelrot, fasrig im Fleisch und – eine Schwart’n! Genau richtig! Genussvoll lässt der seine Nas’n darüber hin- und her wandern.
Die Bewunderung des Kollegen lässt nicht lange auf sich warten. „Schaut fei werglich gut aus, des Häxla. Be welch’m Metzger host des denn kaaft?“
„Metzger? Mir wor’n beim Costa. Des is der junga Grieche geg’nüber vom Weißen Hirsch. Der hot vor zwaa Johrna die Nichte k’heiert vom alt’n Hirschnwirt, etz hom sa nei gebaut und do wor mer gestern mittoch amol zen Ess’n. Mei Fraa hot a Rouladn k’hott und ich a Haxn: Su ein Trumm! Ein fein’s Kraut mit Speckgriefela hot’s dezu geem und griena Kließ … Also ich ko der soong, ich ho’ gor net alles gezwunga! Na Rest hot mer der Costa dann ei’gebaggt. Mogst amol brobier’n?“
„Naa …“. Durch den Kopf zieht das Bild eines sonntäglich gefüllten Parkplatzes: Ein mediterran gekalktes Restaurant und ein schwarzpatinierter Weißer Hirsch gegenüber. „Ich ho’ gestern middooch a Wiener Schnitzl gess’n, und des is mer scheinbor net recht bekumma …“. -psg-