Der Sohn und sein Auto

Wenn du es als Vater geschafft hast, mit den technischen Konsumvorlieben deines Sohnes bis zu dessen achtzehnten Lebensjahr halbwegs Schritt zu halten, dann darfst du mit Recht stolz auf dich sein. In Zeiten, wo nichts älter ist als das neue Handy von gestern, haben Erinnerungen an Grundig-Tonbänder und Metz-mechert-ich-aa–Fernseher im Hirnkästlein keinen Platz mehr. Gut so, denn den letzteres hat der Papa dringend nötig, um sich wenigstens die einfachsten Grundfunktionen auf der Miniatur-Computerschaltzentrale genannt Funkfernbedienung merken zu können.

Für einen Achtzehnjährigen von heute ist das alles easy und normal. Der ist mit dem ganzen elektronischen Krimskrams aufgewachsen. Der erkennt allein schon am Handy-Klingelton, welcher seiner siebenundzwanzig Kumpels anruft oder ob es eine Freundin ist, die erst eine Freundin werden will, oder ob ganz einfach das Gerät um Strom bettelt, weil ihm die letzten Bluetooth-Aktivitäten auf den Magen sprich Akku geschlagen sind.

Ein Achtzehnjähriger von heute hat seinen Führerschein gemacht wie sein Papa auch, hat dabei Fragen gemeistert, welche fehlerfrei oder überhaupt zu beantworten seinem Erzeuger nach fünfunddreißig Jahren Fahrpraxis ziemliches Kopfzerbrechen bereitet (natürlich hast du die Übungsbogen nachts heimlich durchgeschaut und nach dem dritten Blatt entnervt zur Seite gelegt) und nennt nun ein Auto sein eigen, das zu deiner Zeit dein jungmännliches Selbstwertgefühl in den siebten Himmel gehoben hätte, hättest du so ein KaEffZett überhaupt ansatzweise vergleichbar fahren dürfen.

Zugegeben, ein paar Jährchen hat er auch schon auf dem Buckel, der blaumetallicfarbene Sechzehnhunderter, in dem der Sohnemann nun seine eigenen Streifzüge in die weite Welt machen wird, aber – wenn du das Wägelchen so anschaust: Irgendwie gefällt es dir selber. Sogar sehr gut. Ein bisschen die Zeit zurückdrehen, selber reinsetzen, anlassen, Gang rein und ab die Luzi – das wär’s doch …? Gut, dass die Mama sich im Moment damit abgibt, den Rückspiegel zu polieren, sonst würde sie, die allzeit Wissende, in deinen Augen lesen und sagen „Mo’, du spinnst!“.

„Des Radio bau ich aber aus!“ Diese Entscheidung holt dich wieder in die Wirklichkeit zurück. In der Tat ist das angesprochene „Funzerla“ ein wenig mickrig und hat der Vorbesitzerin wahrscheinlich nur dazu gedient, etwas über aktuelle Verkehrsstaus zwischen Kleinwachtelhof und Läbberlesgrün zu erfahren, wo es aber deines Wissens nach in den letzten acht Jahren keinen einzigen gegeben hat. Also verfolgst du interessiert, allerdings ohne ein Wort davon zu verstehen, die fachmännischen Erklärungen deines Ablegers, wo er die acht Hochleistungslautsprecher und den Subwoofer und die prozessorgesteuerte Endstufe hinplatzieren will, und einen Radiotuner hat er sich auch schon im Internet herausgesucht, mit USB-Anschluss und Bildschirm und, und, und …

„Kaffee kochen kann des Radio aber net, oder?“ Sohnemanns Informationsflut versiegt wie dein Badewassereinlass beim jüngsten Wasserrohrbruch. „Ey Baba, des musst einfach hom, wenn do was G’scheit’s rauskumma soll!“ Okay, verstanden! Auch wenn du nichts davon verstanden hast. Ist ja auch egal, zurechtkommen damit muss er selber und dein Schwager ist Autospezialist und hat ihm den Einbau versprochen und, also, scho’ recht, dann mach’ halt.

Als die Mama und ihr Filius drei Tage später vom Großeinkauf zurückkommen, ist ein Riesenkarton mit Transportbändern auf dem Dach fixiert, weil nichts mehr sonst in den bis auf das letzte Eckla vollgepfropften Familienkombi hineingepasst hat und man ansonsten hätte zweimal nach Bareith fahren müssen. Der Hausplatz füllt sich und der Papa flüchtet. Während des folgenden Wochenendes macht die Mama einmal Freitag mittags Fahrdienst, dann sieht der Vater seinen Sohn den restlichen Tag nicht mehr, am Samstag überhaupt nicht, und am Sonntag früh um acht ist lediglich das Quietschen vom Garagentor zu hören, als der „Gung“ frühstücks- und kommentarlos mit der Frau ihrem Auto wieder hin in die Werkstatt zischt. Du denkst dir so im Halbschlaf „… des wenn er machen müsst …“ und drehst dich noch einmal rum in den Federn.

Sonntagabend um halb neun klingelt das Telefon. Sohnemann ist dran: „Mir sen fertig. Wollt’er net amol kumma?“ Freilich. Selbstverständlich. Dein Herzblatt ist seltsamerweise bereits komplett geschminkt und, bis auf die Schuhe, ausgehfertig. Also Rüstungswechsel – vom Trainingsanzug in die Jeans, schnelle Katzenwäsch’, Haar durchgekämmt: „Mir könna!“ Die Frau nimmt noch eine Flaschen Sekt mit und dann geht’s im Papa sein’ Auto – es ist ja auch keines weiter mehr da – ab in die Werkstatt. Auf der Fahrt dahin besäuselt euch der übliche Schlagermix aus dem Ersten Programm über die – zugegeben auch net grad billig gewesene – Stereoanlage, bis dein Herzblatt neben dir sagt „Schalt doch bitte die Kist’n aus!“. Akzeptiert.

Beim Öffnen der Werkstatttür fühlt der Papa eine Art Premierenfieber in sich. Das erste, was er sieht, ist ein vollends happy strahlender Sohn, das zweite ein geschaffter Schwager, fit wie nach drei Tagen Wüstenritt, zum dritten eine Art Diskothek auf vier Rädern in diffus hellblauem Neonschein mit roten und gelben Kontrolllichtern und einem Steuergerät in der Konsole – dagegen ist die heimische Funkfernbedienung ein Spielzeug für Schulanfänger. Doch was du insgeheim befürchtet hast, findet überhaupt nicht statt, im Gegenteil: So angenehm klar hörst du deine alte Abba-CD nicht einmal daheim auf der Stereoanlage, gar nicht laut, echt schö’.

„Ey Baba – soll ich dir amol wos zeig’n?“ Und dann ist alles nur eine Sache von Zehntelsekunden, dir bleibt keine Chance zur Flucht, aus dem Nichts heraus kriegst du ein Brett vor die Platt’n und so was wie ein Pferdehuf trifft dich mitten in den Bauch. Die Luft ist weg, deine Trommelfelle reißen und der Kreislauf jammert: „Gleich haut’s mich z’amm!“. Achtzehnhundert Watt brüllen ungezügelt ihre Löwenstärke in die Welt hinaus, die Autokarosserie meldet eine Neun auf der Richterskala, die Scheibengummis pochen wie eine Herz-Lungen-Maschine, reihenweise verabschiedet sich das so schön aufgehängte Werkzeug vom Schwager aus den Wandregalen und auch du suchst nach einem festen Halt. Im nächsten Moment ist das Erdbeben vorbei. „Klasse, wos?“ Der Sohn strahlt übers ganze Gesicht.

„Mmpf!“ Was willst du als Nicht-mehr-Erziehungsberechtigter da noch sagen? „Sag bloß, du willst mit der Lautstärk’ auf die Straß’!“ – „Naa. Sonst hör’ ich doch ka Polizei …“. Schon ein bisschen beruhigter und mit wieder gefestigtem Kreislauf lässt du dir von deinem Filius nun alles zeigen und erklären –  interessiert, allerdings ohne ein Wort zu verstehen – du hörst etwas von Telefonieren mit Ansage und Filme anschauen und Doppelfunktionen und, und, und … Die Mama macht die Flasche Sekt auf und die Gläser voll: „Des muss eingeweiht wer’n!“ Sie reicht jedem ein Glas, nur der Filius verzichtet und greift nach seinem Fläschla mit Apfelschorle: „Ich derf doch nix trinken, ich muss doch noch fahr’n!“

Und das ist dann wieder so ein Moment, wo du als Vater auf deinen Sohn richtig stolz bist. -psg-

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