Oberfränkische Wirtschaftsanalyse III
Malerische Bilder präsentieren sich in einladender Vielfalt, nussbaumrustikale Täfelungen, durchgezogene Eckbank, Kachelofen mit Kissla, ein alter Regulator tickt die Zeit weg. Dielen knarzen von hundert Jahren Wirtshaus, als der Gast an der Theke steht. „Hallo! Hallo, ist da jemand?“ Die Zeit tickt weiterhin zeitlos von sich weg. „Hallo!“
„Ja?!“ Ein undefinierbarer Laut durchs Durchreiche-Fensterla und ein Körper setzt sich in Bewegung, erscheint in der Tür und gestaltet sich als listig blinzelndes Fraala jenseits der Sechzig, blaugepunktete Kittelschürze und nach hinten gebundenes Kopftuch eingeschlossen. „Iech ho Sie gor net kumma hörn! Iech bi nemlich grodner ieberm Endnrubfm. Wos meeng mer denn aweng?“
Ein gut oberfränkisch gebriefter Gast hat nun relativ problemlos mitbekommen, dass die liebe Frau sich in aller Form bei ihm entschuldigt, dass sie ihn nicht gehört hat, weil sie gerade damit beschäftigt war eine Ente des Federkleides zu entledigen, und dass sie bereit ist seine Bestellung aufzunehmen nach dem Motto „Was möchten wir denn so?“ (aweng = ein wenig).
„Wir hätten gerne ein Bier und ein Kännchen Kaffee.“ Der Insider bedient sich schlauerweise gleich einer regionalen Eigenheit: Nicht touristisch dominant „Ein Bier und ein Kännchen Kaffee, bitte“, sondern „Wir hätten gerne …“. Damit verbindet sich die oberfränkisch-plurale Fragenformatierung „Wos meeng mer …“ moderat mit dem eigenen Zungenschlag und hofiert einheimische Sprachgepflogenheiten. Ein unbewusst fühlbares Miteinander, das die Senior-Gastronomin zur Sympathiebezeugung hinreisst: „Meeng mer vileicht nuch wos?“
Nun darf der instruierte Gast sich in einer Gegenfrage ergehen: „Hab’n Sie (das hab’n klingt schon leicht fränkisch, besser noch machte sich ein ham) vielleicht noch etwas zu essen?“. Der Kenner der oberfränkischen Seele artikuliert vorsichtig dank seines Kurzzeitgedächtnisses: Garage leer, Bulldog auf dem Feld, Regulator tickt. Und damit trifft er genau ins Schwarze.
„Meeng mer vileicht aweng wos Worms? Mir hom heid middooch Rouladn k’hobbd. Und Gließ sen aa nuch do, ei’gschniedna, und a Blaugraud!“ „Ja, zweimal bitte. Meine Frau und ich, wir sitzen draussen.“
Damit sind auch die letzten Abstandsbarrieren gefallen. Die Gäste zeigen keine Angst vor oberfränkisch-provencalen Aromastrukuren und wissen zudem, dass es nichts Besseres in einem guten Landgasthof gibt als das, was die Seniorin empfiehlt. Rouladen und oberfränkische, kleingeschnittene Röstklöße vom Feinsten.
Da braucht es auch keine großmächtige Speisenkarte, da gibt es ohne zusätzliches Bestellungsgehabe noch ein leckeres Biskuit-Sübbla vorher und ein Stamberla Selbstgebrannten hintennach („obber bluß wenn sa meeng, sunst vileicht a Eis …?“). Und kosten tut alles zusammen kaum mehr als die eine Portion Kaiserschmarrn letzten Winter auf der Almhütten.
„Semmer nuch aweng do?“ “Ja, aber leider nur diese Woche.” „No ja, dann wünsch ich nuch an schenn Urlaub!“ Und tief im Innern fomiert sich bereits die Absicht wieder hier vorbei zu kommen.
Ein „Griß Gott“ hat es übrigens anfangs nicht unbedingt gebraucht, denn wer als Gast in ein oberfränkisches Wirtshaus kommt, der ist immer herzlich willkommen.
-psg-
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