Improvisation ist alles

Das Nebenzimmer im Gasthaus ist aufs festlichste herausgeputzt. Goldrandteller schimmern, edles WMF funkelt um die Wette, ein Blumenmeer aus Alpenveilchen und Fleißigen Lieschen fließt zwischen Ziehharmonikaservietten über weißgestärkte Tischdecken.

„Sie sind bestimmt der Musiker?“ Die schwarzhaarige Servierschönheit sieht unterm Gläserpolieren her zu dem weißbehemdeten Westenträger, der ratlos in der Tür steht und nach einer Freifläche zum Anlagenaufbau Ausschau hält. „ Da links im Eck neben der Garderobe!“ – Ha?

Wieder mal zerfällt zwischen Kleinhirn und Großhirn ein Ideal in tausend Stücke. Kaum vorstellbar, daß sich auch die beiden Jungs des ehemaligen Naabtal-Duos vorzeiten mit solchen Widrigkeiten herumschlagen mußten. Racks, PA, Keyboards, Sitz, Lichtanlage, Ständer – und das alles soll auf knapp zwei Quadratmetern Platz finden? „Sie müssen ein wenig nach hinten rutschen, die Leute müssen noch ihre Mäntel hinhängen!“ – Whomm!

Ein Blick auf die Uhr – noch achtundfünfzig Minuten bis zum Entrée. Gottseidank, der Transportweg ist ebenerdig. Zwischen aufgestapelten Bierkästen und zwei Tiefkühltruhen geht es gerade so durch.

„Oh – Entschuldigung!“ Eine Kollision zwischen Sektgläsertablett und Mischpult wurde eben nochmal abgewendet. Bedenklich reiben sich diverse Stuhllehnen zwischen Musikantenhüftschwung und geometrischer Ebenmäßigkeit der Tischdekoration. „Sie müßten dann noch Ihr Auto wegfahren!“ Natürlich – warum sollte es jetzt auch nicht anfangen wie aus Kübeln zu regnen?

Mit leicht überhöhter Körpertemperatur, kleine Dampfwölkchen hinter sich herziehend, beginnt ein durchfeuchteter Alleinunterhalter seinen Aufbau. Endstufe unter die Eckbank, Mischpult ins Eck – nein, so geht’s nicht – ‘rumdrehen, hochkant – „Verzeihung, haben Sie ein paar Bierdeckel zum Unterlegen?“

Der Keyboardständer paßt ideal ins Eck, ein Lautsprecherständer – mehr geht nicht mehr. Den zweiten Lautsprecher auf die Hutablage der Garderobe, gut, daß es Gaffertape gibt, der Kleber wird mit Spüli morgen schon wieder abgehen … Halt, der Sitz. Keyboards vor, Sitz dahinter – nicht viel trinken heute abend, der Durchgang ist zu … Schlangengleich und hexenschußgefährdet windet sich der Musikus in seinem Aufbau hin und her, um die letzten Fußschalter und Anschlußkabel zu installieren.

„Entschuldigung – wo haben Sie Strom?“ Die Frage nach dem Satz des Pythagoras könnte nicht provozierender wirken. Trotz 1,8 mm – Makeup: Atemlose Blutleere im Gesicht der schwarzhaarigen Servierschönheit und Ratlosigkeit in Eye-liner-umrandeten wasserhellen Pupillen. Was ist Strom? „Nein, wo ist Strom! Eine Steckdose!“

„Ah!“ Mit einem befreiten Lächeln zeigt der Schankengel neben sich und die Theke auf die in halber Höhe angebrachte Verteilereinheit, an der bereits Spülmaschine, Kühltheke, Kasse und Bierwerbeschild hängen und fünf KaWe zapfen. Ein Blick zur Uhr – noch elf Minuten. Aber gottseidank, heute ist die Kabeltrommel, wie auch immer, beim Reintragen mit dabeigewesen. Also, auf Tauchstation.

Zwischen Eckbank, Tischen und von der Putzfrau vergessenen Pommes frites steigt die Transpirationsrate um ein Vielfaches, bis der Schukostecker endlich im dafür zufällig noch freien Anschluß einklinkt. Und welch Wunder – auch die Sicherung hält beim Einschalten. „Spielen Sie aber nicht zu laut!“ – Kennt die mich echt noch nicht …?

Keuchend macht sich der Alleinunterhalter daran, alle Rackdeckel und Koffer im gegenüberliegenden Putzraum unterzubringen. Da kommt ja auch schon das Geburtstagskind im Kreise seiner Familie. „Hallo, ich muß mir nur noch schnell die Hände waschen.“ 

Mal wieder Glück gehabt, hm? Es ist auch in diesem Fall noch ein sehr schöner Abend geworden.    -psg-

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