Bierdeckeloge
Was wären wir Alleinunterhalter, Party-, Feten- und Hochzeitsmusikanten ohne jenes zwischen fünfundsiebzig und neunzig Quadratzentimeter große und knapp zwei Millimeter starke Stück Presszellulose, das so gut wie auf jeder Schanktheke zwischen Flensburg und Friedrichshafen stapelweise seinen Platz hat? Richtig. Nervenbündel!
Ewiges Lob seinem unbekannten Erfinder. Sicher dachte dieser in der ersten Aufbauphase seiner für die Gastronomie bahnbrechenden Idee damals nicht an die -zigtausend Saitenschleifer und Tastenhobler, denen er mit seiner wunderbaren Kartonoblate einmal das Leben erleichtern würde.
Ursprünglich als Bierglasabstellstoßdämpfer und verzehrurkundliches Beweismittel mit Brauereiwerbung darauf entwickelt, hat sich der Bierdeckel lange vor der Erfindung von Blumendraht und beidseitig verwendbarem Klebeband als unverzichtbares Hilfsprodukt beim Aufbau von Musikanlagen sowie zum provisorischen Überbrücken diverser Instrumentenmängel bewährt.
Der Stolz jedes Gastronomen der gehobenen Klasse – General-blankpolierter Fliesenboden in Foyer und Hochzeitssaal – ist vordergründig Ursache für den ersten Gang des Musikers an die Theke. Nicht um sich Aschenbecher oder Getränk zu beschaffen (das wird natürlich infolge der Zeitersparnis dann gleich miterledigt), sondern um einen Vorrat an fünfzehn bis zwanzig Bierfilzen zu erbitten, womit einem eventuellen Seegang von Mischpult, Modulrack oder Keyboardständer vorgebeugt werden soll.
Diverse Druckstellen und Gummirückstände an den erhaltenen kleinen Rundkartons beweisen dann sehr schnell, daß a) der Kollege vom letzten Wochenende wirklich Probleme beim Aufbau hatte und b) es sich hier um ein sehr wirtschaftlich geführtes Haus handelt, in dem nichts sinnlos weggeworfen wird.
Je nach Daumen-mal-phi-Technik des damals verantwortlichen Estrichlegers sind bis zu zwanzig Stück von diesen Brauereifrisbees nötig, bis die installierte Anlage ihrer ergonomischen Funktionalität nachkommt. Kein noch so gut gestalteter Holzkeil, keine noch so intelligent geschliffene Unterlegscheibe paßt so zehntelmillimetergenau wie der letzte in die Mitte seiner Artgenossen einschobene Bierdeckel.
Als äußerst vorteilhaft hat es sich erwiesen, pro Auftritt in geschlossenen Räumen etwa zwei bis drei der Karton-Rundlinge in eine eigene Vorratshaltung zu integrieren, in weiser Voraussicht auf die nächste Zeltveranstaltung oder das bevorstehende Gartenfest, wo die Maßkrüge unten nackt auf dem Tisch stehen und sich, außer Schottersteinen ab Größe einer mittleren Boxerfaust, keine Unterbaumöglichkeit findet.
Keyboarder und Akkordeonisten hätten sich ohne die variablen Klemmeinsatzmöglichkeiten eines Stückchen Bierfilz zu hunderten schon verzweifelt an Tastenhängern aufgehängt. Kannenbläser und Kla’nettisten schwören bei unzureichender Klappenfunktion auf spucke-befeuchtete Schnitzel der bedruckten Preßpappe. Und manch Schlagzeuger der alten Garde hütet seine multifunktionelle Bierdeckelsammlung mehr als sein Achtzehnzoll. Nur wirklich im äußersten Notfall ist er dazu bereit dem Trompeter für „Patricia“ einen davon auszuleihen.
Unzählige Auftritte wären nie zustandegekommen, hätte nicht einer der Brauereikekse dem Musikus als Visitenkartenersatz gedient. Und daß das Finanzamt eine Kapellenquittung auf dem Bierdeckel als Einkommensnachweis abgelehnt hätte, ist bis jetzt nicht bekannt geworden.
Die Geschichte der Musik – ohne Bierfilz? Undenkbar!
Da fällt mir ein, daß mir ein Gast am Sonntag seine Telefonnummer gegeben hat. Wo hab’ ich ihn denn nun wieder – den Bierdeckel? -psg-