Kennen Sie das Kufsteinlied?

Es gibt eigentlich nur drei Lieder, die ich nicht ausstehen kann, aber aus Gründen dreißigprozentiger Getränkeumsatzsteigerung bringen muß: Erstens den Zillertaler Hochzeitsmarsch, zweitens Sierra Madre del Sur und drittens das Kufsteinlied! Meine Haßliebe zu diesem Trio ist mittlerweile sogar so groß, daß ich es wieder fest ins Programm integriert habe. Selbstkasteiung, Musikantenmasochismus oder was auch immer es sein mag – die Temperaturzone im Lächeln des vortragenden Unterhaltungskünstlers liegt jedesmal irgendwo zwischen Spitzbergen und Grönland.

Dabei sind diese Lieder doch sooo schön. Keine Vermählungskirmes zwischen Pinneberg und Passau ohne Zillertaler Hochzeitsmarsch. Die Ehrenrunde zum Tanzbeginn ist beendet. Aufatmend und verstohlen schlüpft die Braut unterm Tisch aus den neuen Deichmannpumps. Da – der Musikant greift gerade zum Glas – wie aus dem Boden gewachsen steht eine Botin des Frohsinns vor ihm. „Spielen Sie auch den Zillertaler Hochzeitsmarsch?“

Eltern, Schwiegereltern, die ganze Verwandtschaft, alle sind heiß auf das Ramta-Ramta-Ramta-Fiedelintro. Müde Augen beginnen zu leuchten, arthrosegeplagte Kniescheiben fangen an unkontrolliert zu wippen und je nach Stuhlzuordnung wird sich nach links hinten oder rechts hinten gedreht, um das erste wagemutige Pärchen auf der Tanzfläche mit aufforderndem Händeklatschen anzufeuern. Jubel ohne Ende.

Nach der ersten Wiederholung beginnen sich die Wangen der mittlerweile acht Tanzpaare zu röten, nach der zweiten geben die ersten der nunmehr elf Paare auf. Das Stück dauert im Original knappe fünf Minuten und heute auch-ch-ch. Das genügt.

Einwegfeuerzeugfabrikanten wäre schon längst das Gas ausgegangen, gäbe es nicht die Mitternachtshymne des zwanzigsten Jahrhunderts: „Sera mare su“, fälschlicherweise „Sierra Madre del sur“ geschrieben. Ab einskommavier Promille Publikumsdurchschnitt wird der Ruf nach dem Kordillerenhit lauter, ab einskommasechs intensiv, und ab zwokommanull muß der Musikant ‘ran, ob er nun will oder nicht.

Bereits nach dem zweiten Vers ist er in der Lage mal kurz austreten zu gehen, denn ein Background ist nicht mehr nötig. „Se-ra Se-ra ma-are su“. Er kommt zurück, setzt wieder – nunmehr zwei Be tiefer – ein in den allzeit existenten Refrain. Die Menge tobt, der Lautstärkepegel liegt für weitere zehn Minuten im Bereich eines startenden Jumbojets und am Ende liegt in der Luft ein aromatischer Duft von angesengten Daumennägeln.

Drei Silben im volkstümlichen Repertoire deutscher Stimmungsmusikanten weiß jeder Tourist, der von weither nach Dschömeni kommt, sei es aus New York, Nairobi oder Nagasaki: Coof-Stine-Leed! Die austromanische Lederhosenpower-Arie im Dreivierteltakt bürgt für Stimmung, Umsatz und überzogene Stimmbänder. Wildfremde Menschen fassen sich unter die Arme, Gesellschaftsmuffel vergessen ihre Grundsätze und selbst das Bedienungspersonal beginnt beim „Hollera diri diri diri“ mit dem Schunkeln.

Am Rhein und in Rothenburg, an Ostsee und an der Adria – überall stellt man sich die gleiche internationale Frage: „Kennst du die Perle, die Perle Tirols?“. Wobei zu bemängeln ist, daß diese Neugier im Anschluß noch nie direkt mit „ja“ beantwortet wurde.

A propos: Es war ein wunderbarer Kurtanz. Pärchen schmiegten sich Wange an Wange. Kerzenschein funkelte in Gläsern mit edlem Mosel. Harmonien flogen zauberhaft wie Schmetterlinge zwischen filigranen Raumteilern. Red Roses for a Blue Lady, Spanish Eyes, The Last Waltz. Atmosphäre – ein Hauch Las Vegas.

Der Musikus war sich seiner Wirkung bewußt. Zu Höherem geboren. Ein Engel schwebte hin an Engelbert. Weißes Kleid. Südseegebräuntes Dekolleté. Edler Schmuck. Sündiger Mund. Samtweiche Stimme. Und es zersprangen Träume wie Glas. „Entschuldigen Sie, wir möchten gerne in der nächsten Runde einen Walzer. Kennen Sie das Kufsteinlied?“       -psg –

zurück zur Hauptseite