Als einmal der liebe Gott nicht nach seinen Alleinunterhaltern sah
Der liebe Gott hat früher den Leuten, die einmal Musiker werden sollten, zwei Füße gegeben, zwei Hände mit normalerweise je vier Fingern und einem Daumen sowie, in etlichen Fällen, eine relativ stark beanspruchbare Lunge. Den gesanglich Auserwählten schenkte er obendrein noch ein paar Stimmbänder in vergleichbar Solinger Qualität.
Die Spezialisten mit den Füßen – das waren die, die als Schüler den Schulranzen mit einem Tritt von der Hinterbank bis vorn ans Lehrerpult zischen ließen – machte er zum Schlagzeuger oder Kirchenorganisten. Die Handarbeiter ließ er Klavier lernen, Akkordeon oder Gitarre, und wer einen Luftballon aufblasen konnte, dem öffnete er die Augen für Saxophon, Klarinette, Posaune oder so. Trompete und Horn, so ist zu vermuten, hielten bisweilen auch mal als Ausweichinstrument für diejenigen Begabten her, deren Vater oder Patenonkel ein Sägewerk oder eine Schreinerei besaßen (alter Musikantenwitz: Fünf Bier fürs Sägewerk …).
Eines Tages wurde der liebe Gott vielleicht ein bißchen träge. Darum ließ er die Menschen munter daran werkeln sich das Musikmachen zu erleichtern. Die gingen natürlich gleich in die Vollen und machten alles elektronisch. Die Flöten wurden elektronisch, Klaviere wurden elektronisch, Gitarren, Vibraphone und, und, und … Und weil sich manch rhythmuskranker Organist selten gern von einem taktsicheren Schlagzeuger in den Hintern treten ließ, wurde der mittlere ebenfalls durch einen 220-Volt-Schlucker ersetzt. Entsetzlich zwar im ersten Moment, aber – musikalische Talente sind vielfältig, und aus manch gutem Trommler ist aus der Not heraus ein noch besserer Keyboarder und Allein-unterhalter geworden.
Dann aber fuhr der liebe Gott vollends in die Ferien und – oh nein! – jetzt war der Weg wirklich frei für das Unbegreifliche! Computerdämonen besetzten die Welt der Alleinunterhalter, die einmal doch so heil gewesen. Der Himmel färbte sich düster. Profilierungssüchtige und geldgierige „Neu-Entertainer“ tanzten um Goldene Kälber mit Namen „Sequenzerlaufwerk“ und „Playback“ und gaukelten dem Volk ein trügerisches Wissen vor, das nicht der Wahrheit entsprach.
Keiner von ihnen hatte – wenn überhaupt – jemals länger als ein Vierteljahr durchgehalten ein musikalisches Handwerk zu erlernen. Harmonielehre? Kapellenerfahrung? Wer von ihnen konnte gar einen Fliegenschiß und eine Note auseinanderhalten? Ob D-Dur oder D-Zug, das war denen und mit einemmal völlig egal. Selbst vormals nur Halb-Insidern ging es jetzt an den Kragen durch solche, die „Transposing“ mit „Transportgut“ verwechselten. Denn die waren noch billiger.
Altgediente Alleinunterhalter sah man folglich schluchzend und mutterseelenallein durch die Wälder irren – weniger der guten Luft wegen, sondern um sich einen passenden Ast auszusuchen. Vergebens die Last und Müh’ der Jugendjahre, in denen man sich durch den Musikunterricht gequält hatte. Umsonst sämtliche Fingerübungen, sinnlos alle 32-tel- und Triolenfoltern. Takteauszählen – ein Witz. Wofür, wofür, wofür? Ein Fingerdruck am Diskettenlaufwerk stieß Existenz und ein erfülltes Musikerleben in den Abgrund.
Alleinunterhalter nannte sich schon, wer ein Keyboard von einem alten Autoreifen unterscheiden konnte. Und wessen Stimmbänder die Modulationsfähigkeit der eines brünftigen Rothirsches unterboten, der legte gar Original-CDs ein und tat so, als ob … im Fernsehen wird es ja schließlich auch gemacht und überhaupt.
Weil es im Wald nunmal mehr Äste gibt als altgediente und erfahrene Alleinunterhalter, hatte endlich jeder der letztgenannten einen passenden gefunden für den Weg ins Musikantenparadies. Zurück blieb ihr einstiges Publikum, das im folgenden an den „Neu-Entertainern“ nur noch insofern Gefallen fand, als die besonders profilneurosigen unter ihnen schon Geld mitbrachten, um überhaupt noch auftreten zu dürfen. Und ohne Strom ging bei denen am Ende gar nichts mehr.
Der liebe Gott hat übrigens seine Ferien vorzeitig abgebrochen, als er hörte, im Musikantenparadies wird von Alleinunterhaltern wieder live gespielt. -psg-