Spiel doch bitte noch mal Retz Detz
Mitunter will ein Alleinunterhalter seinem Publikum eine Freude machen und verkündet stolz „Wunschkonzert, meine Damen und Herren!“ Dies umso lieber im Rahmen einer Kurhauskeller-Tanzveranstaltung, als sich da zuhauf Publikum aus aller Herren Länder einfindet und die Chance am größten ist, mit der Erfüllung von Vorschlägen wie Schneewalzer oder Rosamunde auf der Wunschliste den Ruf der größten agierenden Musikbox in Menschengestalt zwischen Rügen und Großglockner zu erlangen.
Selbstverständlich ist es dem Musiker niemals nicht als Kreativitätsmangel anzulasten, wenn er die Auswahl des Musikprogrammes seinem Publikum überläßt. Könnte er doch stattdessen genauso die GEMA-Top-Hundert rauf- und runterspielen und läge bei gut neunzig Prozent Trefferquote, obendrein mit Kastelruthern, Paldauern und Roy Black absolut im Ziel des allgemeinen Geschmacks. Wie auch immer: Anbandeln ist gut und schafft neue Bande, von Herz zu Herz, vom Künstler zum Konsumenten.
Schwieriger ist es da schon auf direkt angetragene Musikwünsche zu antworten. Mit der spontanen Antwort “Die Noten habe ich zwar dabei, aber ich finde den Text im Moment nicht“ wird man spätestens beim fünften Male wie ein Politiker abgeurteilt und kann sich nicht mal auf einen Blackout berufen, da man doch auf anderweitigen Sonderwunsch hin bereits dreimal das Kufsteinlied gespielt hat. Eleganter wirkt da schon ein „Es tut mir leid, aber ich spiele einen Titel pro Woche normalerweise nur einmal und dieser ist erst für morgen im Programm vorgesehen …“ oder man macht einen auf Effizienz: „Sonderwünsche bitte auf einen Zwanzigmarkschein schreiben und beim Musiker abgeben!“
Der routinierte Alleinunterhalter nimmt mit liebenswürdiger Nonchalance auch leicht fehlerhafte Musikbegehren entgegen – den „Gefangenenchor aus Sambucca“ etwa oder „Die rote Sonne von Mexico von den Flippers“ wie auch „ O solo mio, aber das vom Elvis“.
Bisweilen wird die Titelrecherche etwas schwieriger, und man kommt um ein Nachfragen kaum herum. „Candy Rose“ entpuppt sich dann als John Denver’s Hymne auf West Virginia, „I’m just cold to you“ als Megahit von Stevie Wonder und „ My Love and I“ wird richtig als „Mull of Kentyre“ enttarnt.
Optimale Diplomaten unter den Musikrepräsentanten lassen es sich selten anmerken, wenn einer der gewünschten Songs sich nicht in ihrem Repertoire befindet. Als besonderen Service bieten sie von sich aus den „neuen Top-Remix Ganz in Weiß“ von der „gerade brandaktuellen Single der Flippers“ an oder das „platinverdächtige Cover-Special Gipsy-Tango“ aus dem „eben erschienenen Folk-Music-Sampler von Bi-Em-Dschi“. Das Publikum hört fasziniert auf den Künstler als Spezialisten, signalisiert freudige Zustimmung und bestellt umgehend bei der Bedienung ein Bier für die Musik.
In ganz speziellen Fällen muß jedoch auch der hartgesottenste Alleinunterhalter passen. Als jener sich augenscheinlich vom ganz entfernten Hinterland in den Tanzkeller verirrte Ökonomierat an der Bühne bemerkbar machte und „bitte nocheinmal das ganz verrückte Lied von gestern“ hören wollte. Näheres Nachfragen ergab eine Titelzeile, die nach „Retz Detz oder so ähnlich“ klang. Freundlich lächelnd versprach der Musikus es für später. Retz Detz ?? Retz Detz ?? Hm. Alle möglichen Assoziationen überschlugen sich während der kommenden beiden Stunden in den Gehirnwindungen des vorschnellen Tanzmuckers. Cats, Race, Lazy Days, Razzamattazz – nein und nein, nichts dabei.
Die vorletzte Tanzrunde barg schließlich des Rätsels Lösung: Twist und Hully Gully bis zum Umfallen. Mit strahlenden Augen lud der durchgerüttelte Landmann den transpirierenden Tastenmann zu einem Getränk ein. „Danke für mein Lied!“ „Ihr Lied?“ „Ja, das war doch Retz Detz!“ Leider fiel die Antwort des Musikanten einem längeren Hustenanfall zum Opfer. Das war’s dann wohl: Let’s dance! – psg –