Freiluftkonzert

Augenrollend und reaktionsschnell den Kopf einziehend zwischen tieffliegenden Sperlingen, giftig winselnden Mücken und ungezähmt drohenden Wespenschwärmen: Eine gut trainierte Halsmuskulatur ist unerläßlich, will man sommers in einem Biergarten oder auf einer Kurcaféterrasse als Musiker seinen Lebensunterhalt verdienen.

Wobei man sagen darf, daß Mitglieder eines Kur-Ensembles hier insofern im Vorteil sind, alsdem die gefährdete Solistenreihe vorne im allgemeinen von der Handarbeit des Dirigenten profitiert. Schenkt sich ein solcher doch ab und an das Vergnügen mit einem gezielten Rundumschlag ein Quartett gelbschwarzer Brummis auf einen Streich zu erlegen. Hilfreich im Hintergrund ebenso der Schlagzeuger, der mit gezieltem Stickwurf einer Wespe zur Not schon mal auf vier Meter Entfernung den Garaus machen kann. Unzählige Kadaver der stachelbewehrten Kleinsthubschrauber zeugen nach einem Kurkonzert in rosenduftender Nachmittagsluft von der absoluten Treffsicherheit des Taktmaschinisten.

Anders der Alleinunterhalter, der im Biergarten unter einem ausladenden Kastanienbaum schweiß- und umsatztreibender Arbeit frönt, mit beiden Händen an die Apparatur gefesselt. Ungebremst schlürfen sich Bremsen durch die Rückstände seines milden Aftershaves. Wespen ergötzen sich an den Transpirationsspuren längs seiner Schläfen. Stechfliegen erkunden mit brennendem Interesse gut durchblutete Hautpartien an Ohren, Hals und Handrücken. Kein Insektenspray, kein Piepser hilft. Spätestens beim ersten Versuch mit rotgenoppten, dicken Hand- und Fingerrücken eine Oktave zu greifen, beweint der Musikus seine aussichtslose Unterlegenheit im Kampf gegen die Miniaturgewalten.

Mit speziell freudigem Interesse unter langsam zuquellenden Augenlidern vermerkt der Tastenkünstler: Überraschung! Quer übers Keyboard die platschend eintreffenden Treibstoffrückstände einer im Baum fünf Meter über ihm mitgurrenden Ringeltaube. Bravo. Echt. Genau getroffen! Nur ein einziges Loch im Himmel des Zwanzig-Mark-Pavillons! Erleichtert fühlt der Musiker beim Einsatz von feucht ausgepreßtem Lappen und Wasser die langsam wieder zurückkehrende Funktionalität seiner Fingerglieder. Danke, Frau Taube, aber nächstes Mal bitte woanders!

Zwei Sekunden Gänsehaut durch eine im Tonkrug badende Stacheldrohne. Gerade noch entdeckt. Ameisenheere, die zackig den Mikroständer auf- und abmarschieren. Für den Musikanten willkommene Ideenlieferanten zu einem Medley im Zweivierteltakt. Aktualität pur. Symbiose total. Im Endstufenrack baut ein Rudel Erdhummeln eine neue Besiedelungslinie auf. Die emsigen Aktivitäten können aber vom Alleinunterhalter eben rechtzeitig durch den Rauch einer Vierziger Handelsgold unterbunden werden.

Kein Barmusiker, kein Studiofreak wird je die natürlichen Freuden ermessen, die ein Engagement im Biergarten mit sich bringt. Zu keiner Zeit muß er schokoeisklebrige Kinderhände abmahnen, die seine Lautsprecherständer als Kletterstange mißbrauchen. Niemals wird ihm eine Windbö den gesamten Holzaschevorrat des benachbarten Bratwurstgrills über die Tasten pusten. Und nie wird er jenen Atem urpersönlich menschlichen Vertrauens auf Petrus fühlen, wenn erste gelbgezackte Wolkenungeheuer sich über das Blickfeld schieben.

Die ersten Tropfen fallen. Es flüchten Direktoren und Angestellte, Arbeiter und bald-wieder-Beschäftigte, Bänker, Versicherungsleute und sonstige Freizeitfanatiker. Unter einer riesigen Plastikplane beginnt der Alleinunterhalter seinen Abbau, zielstrebig und Stück für Stück. Der Abend ist noch lange nicht zu Ende. Er setzt sich zuhause in der Garage fort. Der Fön wird heute noch ein größeres Maß an Trockenarbeit verrichten müssen.           – psg –

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