Der Nieserer

Der Bruder der besten Oma von allen, nennen wir ihn einfach Harald, hat einen Nieserer wie eine mittlere Gebirgshaubitze. Wenn wir zum Essen sind und der Harry einmal so richtig niesen muss, dann erzittern nicht nur auf zwanzig Meter sämtliche Glasscheiben wie bei einer Vier auf der Richterskala. Nein. Männer langen in Blitzaktion nach ihrem Geldbeutel und das weibliche Geschlecht mit beiden Händen dahin, wo der liebe Gott dahinter die Lungenflügel reingepflanzt hat. Teint von g’sund auf weiß in zwei Millisekunden.

Der schwarzhaarige Kellner mit dem Gscherr auf dem Arm tut einen Hupferer wie ein Rodeogaul. Kerzen verpuffen, Teller scheppern, Hausalarm. Die Staksln vom süßen Whiskashund drehen im Anlauf auf Frauchens Schoß durch wie die Reifen beim Start in Monza. Die Röslesvasen vor mir fliegt fast übern Aschenbecher drüber. Die Rosen verteilen sich quer über meine gute Schinkenbizza. Dem Mann da drübn fällt das Messer aus dem Mund. Zwei vorschulpflichtige Madla drücken sich ängstlich an ihre Mami.

Harald niest. Und er niest! Die Menge schreit auf. Besteckelärmorgie auf Restaurantfliesen. Ein Stück Putz hauts von der Deckn und genau in die Minestrone. Gläser kippen, auf auf … Achtung! Des Weizen! Eine helle Hosen verliert ihre Unschuld und ihr Träger die Beherrschung. An der Theke platzt eine Weinflaschn und die Zapfhenne startet einen Weinkrampf. Der Kuckuck in der Uhr verschwindet schneller als wie er gekommen ist. In den Schallwellen rotieren die Fensterstores. Mein Jüngster am Tisch: „Wow!!“ Die Küchentür knallt auf: Ein augenrollendes weißes Hemd mit schwarzer Fliege. „Wasse isse …?!“

Unschuldig flüstert der Kristalllüster. Fassungslose Gesichter. Atemlose Gespanntheit. Im Auge des Taifuns. Das Aquarium plätschert. Der Uhrkuckuck beobachtet uns durchs offene Türla.

Denn Harald sammelt schon wieder Luft. Komprimiert Energie. Nestelt mehr denn instinktiv als bedacht ein soßenbraunes Quadratmetertextil aus der Hosentaschn und schlenzt das Brauchsegel mit ausdruckslosem Blick an seine tremolierende Druckkammer. Sauuugt aaan. Sauuuugt tiiiief in sich hinein. Jetströme zischen. Gewalten vereinigen sich. „Haaa hh… Haaaaa …“ Es muss, es muss raus! Es drängt heraus. Es reißt sich freie Bahn mit der Kraft des Unbegreiflichen. Im Urschrei unzähmbaren Überlebenswillens verlieren Milliarden Bazillen die Schlacht um Harry.

Hemd samt Fliege stieben zurück in die Küche. Der Kunstdruck-Dali hakt ab und flieht. Lichter flackern. Möbel rücken. Unter verrutschter Mähne wiehert der Kellner. Quiekend federt die Thekenkraft ins Gläserspülbecken. Nebentische exodieren wie ein Biergarten bei Wolkenbruch.

Geschockt sammeln sich die Gäste an der Tür zum Ausgang. Mütter rufen nach ihren versprengten Kindern, Väter nach ihren Autoschlüsseln. An den Wänden fehlen Bilder, auf den Tischen der Blütenschmuck. Aus der zerzausten Blumenampel herunter lugt ängstlich der süße Whiskashund. In den Überresten des Aquariums platscht der Goldfisch. Die Tür in der Uhr ist zu.

Reaktionsschnell wieselt mein Jüngster unter dem Tisch hervor mit der Röslesvasen nach dem Goldfisch und setzt das arme Tierla wieder ein. Harald schneuzt sich. Mit der Inbrunst eines röhrenden Rehbocks demonstriert er die Schubkraft seiner Atemwege und öffnet danach zufrieden die Augen.

Aufschnaufend lehnt er sich zurück und blickt strahlend in die Gegend. Im Gläserspülbecken zuckt die Thekenkraft, der Kellner sammelt Geschirr auf, durch den Türspalt linst der Geschäftsführer. Die Gesichter der Gäste bekommen langsam wieder normale Farbe. Der einzige, der etwas sagt, ist mein Jüngster: „G’sundheit, Onkel Harald!“ -psg-

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